Migration und innere Sicherheit: Komplexe Zusammenhänge, paradoxe Effekte und politische Simplifizierungen

Authors

  • Rainer Bauböck

DOI:

https://doi.org/10.15203/ozp.851.vol33iss1

Keywords:

Migration, Einwanderungskontrolle, Sicherheit, öffentliche Güter

Abstract

Der Zusammenhang zwischen Migration und innerer Sicherheit ist komplex, wird aber immer wieder politisch simplifiziert. Die generelle Annahme, welche durch Medienberichterstattung und politische Reden verbreitet wird, lautet, dass unkontrollierte Zuwanderung Sicherheit in zweierlei Hinsicht gefährde: erstens direkt, indem sie grenzüberschreitende kriminelle Aktivitäten erleichtert, und zweitens indirekt, indem sie gesellschaftliche Zustände herbeiführt, welche die staatliche Fähigkeit zur Aufrechterhaltung öffentlicher Ordnung und sozietaler Sicherheit in einem umfassenderen Sinn schwächen. Der Beitrag argumentiert, dass diese prima facie plausible Behauptung modifiziert werden muss. Erstens müssen Migrationskontrollen im Namen der inneren Sicherheit gegen den ökonomischen und sozialen Nutzen sowie den politischen Eigenwert von Bewegungsfreiheit abgewogen werden. Zweitens kann die Illegalisierung von Einwanderung selbst öffentliche Sicherheit gefährden, wenn sie anhaltende Migrationsbewegungen nicht unterbinden kann, oder wenn die Hochrüstung von Grenzen zur Verdrängung freiwilliger und selbst organisierter Fluchthilfe durch organisierte Schlepperbanden führt. Drittens kann die Schließung von Grenzen paradoxerweise kurzfristige Zuwanderung aus Gründen der Torschlusspanik verstärken und langfristige Rückwanderung blockieren. Bei der Analyse der indirekten Auswirkungen von Migration auf sozietale Sicherheit im weiten Sinn des Begriffs liefern redistributive and regulative Sozialpolitiken die stärkste normative Begründung für Einwanderungskontrollen, rechtfertigen jedoch kaum Ziele und Mittel der gegenwärtigen politischen Steuerung. Der für diese Politik wesentliche Zusammenhang zwischen Migration und Sicherheit ist ein diskursiver. „Sicherheit“ kann im politischen Sprachspiel als Trumpf eingesetzt werden, welcher andere Werte aussticht. Dies hilft die breite Unterstützung für kontraproduktive und normativ problematische Politiken zu erklären.

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